Textanalyse

Kollaborative Erarbeitung und anschließende Präsentation

Wie kann man in Zeiten, in denen Schülerinnen und Schüler nicht ihre Plätze wechseln dürfen oder sich im Distanzlernen befinden, gruppendynamische Stunden zu Textanalysen durchführen?

Im Folgenden findet ihr ein Beispiel aus einem Deutschkurs in der Q1. Die Stunde bezieht sich auf Textauszüge aus Goethes Werk ,,Die Leiden des jungen Werther”, kann sicherlich in ihrer Grundstruktur aber auch auf andere Unterrichtsinhalte und Fächer übertragen werden. Weniger soll hier der Inhalt der Stunde, sondern die Vorgehensweise (siehe insbesondere Erarbeitung/Sicherung) im Mittelpunkt stehen, um zu zeigen, dass Partner- und Gruppenarbeiten sowie Präsentationen auch sinnvoll möglich sind, wenn Lernende nicht ihre Plätze im Klassenraum wechseln dürfen oder sich nicht im selben Raum befinden. Viel Spaß bei der Beschreibung der Stunde, die natürlich auch über die aktuelle Zeit (Nov 2020) hinaus durchgeführt werden kann ;-)!

Disclaimer: Wie immer sind die folgenden Ausführungen als Inspiration, nicht als absolut zu verstehen. Lerngruppen und Lehrkräfte sind verschieden. Unterricht sollte immer an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden.

Kurze Kontextualisierung

In der Stunde geht es – allgemein gesehen – darum, zwei unterschiedliche Positionen (Figur A und Figur B) zu einem Thema und deren sprachlich-argumentative Untermauerung anhand eines (literarischen) Textes nachzuweisen. Konkret werden die Positionen zum Thema Selbstmord der aufklärerisch angelegten Figur Albert und des Stürmer und Drängers Werther (Brief vom 12. August) analysiert und miteinander verglichen.

Einstieg und Gelenkstelle der konkreten Stunde

Den Ausgangspunkt für diese Stunde bot eine Frage einer Schülerin nach der Bedeutung des Begriffes Werther-Effekt, den sie in einem Krimi gehört hatte. Nach einer offenen Phase zum Thema Werther und Selbstmord (Vorsicht: Trigger!) wurde schon selbstständig von den Lernenden auf den Brief hingewiesen, in dem Albert und Werther über den Suizid sprechen und dabei konträre Ansichten zeigen. Dies konnte dann zum Anlass genommen werden, zu einer vertiefenden Textanalyse überzuleiten, in dem die zwei Positionen sowie deren sprachlich-argumentative Entfaltung in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt wurden.

Erarbeitung und Präsentation/Sicherung

Ausgangslage ist, dass die Schülerinnen und Schüler nicht ihren Platz wechseln dürfen (Nov 2020). Die Sitzordnung ist in Reihen angeordnet. Die Erabeitung erfolgt in folgenden Schritten:

Der Kurs wird in zwei Hälften (Fenster und Tür) aufgeteilt. Eine Hälfte erarbeitet die (Entfaltung der) Position A (Albert), die andere Hälfte die (Entfaltung der) Position B (Werther).

  1. Alle Lernenden lesen den Text in Einzelarbeit und machen sich erste Notizen zu ihrer zugeteilten Aufgabenstellung.

2. Sie tauschen sich mit ihrem Partner aus (oder drehen sich um, sodass sie sich mit dem Pärchen der Reihe hinter sich austauschen können – dazu müssen sie nicht den Platz wechseln). Ergebnisse werden verglichen und kollaborativ in eine vorbereitete Spalte des Padlets (siehe Bild) eingetragen. Das heißt, alle Gruppen und alle Schüler:innen, die an einer Position arbeiten, können die Posts der anderen sehen und auch verändern, korrigieren, ergänzen. Dazu muss niemand seinen Platz verlassen und das ist auch möglich, wenn sich die Personen an vollkommen unterschiedlichen Orten befinden.

3. Ist die Erarbeitungszeit vorbei, bekommen alle Schülerinnen und Schüler noch einmal Zeit, sich die Posts ihrer Position durchzulesen und sich somit auf eine mögliche Präsentation im Plenum vorzubereiten. Bei Posts, die nicht verstanden werden, können Personen helfen und ergänzen, die den Post verfasst haben. Unmittelbare Sitznachbarn (2-4 Personen – siehe Punkt 2) bilden immer eine Kleingruppe, sodass diese sich im Vorfeld absprechen können, wer – im Falle, dass die Gruppe präsentieren muss – was sagt.

4. Mithilfe des Zufallsgenerators von Classroomscreen wird jeweils eine Kleingruppe ausgewählt, die die Ergebnisse einer Position (A oder B) präsentiert. Das geschieht vom Platz aus (Anmerkung: Dies kann im Distanzlernen über ein Videokonferenztool erfolgen). Zudem kann jeder mit seinem Endgerät (egal ob Handy oder Tablet) die Ergebnisse auf seinem eigenen Endgerät verfolgen. Ergänzungen und Feedback runden die Präsentationphase ab.

5. Von der Lehrkraft können im Nachhinein auch Aspekte ergänzt oder verbessert werden.

Diskussion in der konkreten Stunde

In einer abschließenden, offenen Phase wurden die Figuren abschließend verglichen und übergeordneten Konzepten (Aufklärung, Sturm und Drang) zugeordnet. Zudem erfolgte eine Kritik der jeweiligen Positionen aus Schüler:innensicht sowie eine Beurteilung zur Verbreitung des Themas Tod, Suizid in sozialen Medien. Ein Vergleich zwischen der Buchkultur und der Internetkultur im Zusammenhang mit dem Werther-Effekt rundeten die Stunde ab.

PS: Das Beitragsbild ist unkorrigiert.

Hier geht es zu mehr Ideen zu einer Reihe zum Briefroman ,,Die Leiden des jungen Werther”.

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